09.10.2025 | Lesezeit


Zollrechtliche Herkunft – ein rechtliches Urteil der EU

Bedeutung der zollrechtlichen Herkunft

Die zollrechtliche Herkunft ist ein zentrales Konzept im internationalen Handels- und Zollrecht. Sie bestimmt, aus welchem Land eine Ware im rechtlichen Sinne stammt, und ist entscheidend für die Anwendung von Zollsätzen, handelspolitischen Maßnahmen und Ursprungsregeln. Dabei wird zwischen präferenziellen und nichtpräferenziellen Ursprüngen unterschieden.

Während der präferenzielle Ursprung für die Gewährung von Zollvorteilen im Rahmen von Freihandelsabkommen relevant ist, regelt der nichtpräferenzielle Ursprung die allgemeine zollrechtliche Herkunft. Letztere ist ausschlaggebend bei der Anwendung von Antidumpingzöllen, Ausgleichszöllen, Embargos oder handelspolitischen Schutzmaßnahmen.

Das Unionszollrecht, insbesondere Artikel 60 des Unionszollkodex (UZK) und die Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446, legen fest, wann eine Ware als in einem bestimmten Land hergestellt gilt. Maßgeblich ist dabei, ob eine Ware dort „letztmals einer wesentlichen, wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung“ unterzogen wurde.


Das EU-Urteil zur zollrechtlichen Herkunft – Fall Harley-Davidson

Ein wegweisendes Urteil in diesem Zusammenhang erging im Jahr 2024 durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Fall Harley-Davidson (C-297/23). Der Fall beleuchtet die Grenzen der zollrechtlichen Herkunft und die Bedeutung wirtschaftlicher Rechtfertigung bei Produktionsverlagerungen.

Hintergrund des Falls

Nach der Einführung zusätzlicher EU-Zölle auf US-amerikanische Waren im Rahmen handelspolitischer Gegenmaßnahmen verlegte Harley-Davidson Teile seiner Motorradproduktion von den Vereinigten Staaten nach Thailand. Ziel war es, den Ursprung der Produkte als „thailändisch“ zu deklarieren, um die EU-Zusatzabgaben auf US-Produkte zu umgehen.

Belgische Zollbehörden erteilten zunächst verbindliche Ursprungsauskunft (Binding Origin Information, BOI), die den thailändischen Ursprung bestätigte. Die Europäische Kommission griff jedoch ein und forderte die Aufhebung dieser BOI, da die Produktionsverlagerung primär auf die Umgehung der Zölle abzielte.


Rechtliche Beurteilung durch die Gerichte

Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union (EuG)

Das EuG (Urteil T-324/21 vom 1. März 2023) bestätigte die Position der Kommission: Eine Produktionsverlagerung ist nur dann ursprungsbegründend, wenn sie wirtschaftlich gerechtfertigt ist. Eine bloße Verlagerung aus strategischen Zollgründen erfüllt dieses Kriterium nicht.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Entscheidung zur Verlagerung zeitlich und inhaltlich eng mit der Einführung der EU-Gegenzölle verknüpft war.


Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)

Der EuGH bestätigte in seinem Urteil vom 21. November 2024 (C-297/23) die Entscheidung des EuG und stellte klar:

  • Die wirtschaftliche Rechtfertigung ist ein objektiver Maßstab.
  • Liegen Hinweise auf eine Umgehungsabsicht vor, trägt das Unternehmen die Beweislast, eine andere wirtschaftliche Begründung glaubhaft zu machen.
  • Eine Maßnahme bleibt unzulässig, wenn ihr überwiegender Zweck die Umgehung handelspolitischer Maßnahmen ist selbst wenn einzelne wirtschaftliche Gründe bestehen.

Dieses Urteil verdeutlicht, dass der Ursprung nicht allein durch formale Produktionsschritte begründet werden kann, sondern auf substanziellen wirtschaftlichen Entscheidungen basieren muss.


Praxisrelevanz für Unternehmen

Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen für Unternehmen, die international produzieren oder Lieferketten restrukturieren:

  • Wirtschaftliche Begründung dokumentieren: Jede Verlagerung von Produktionsprozessen sollte nachvollziehbar durch wirtschaftliche, technische oder logistische Gründe begründet sein. Dokumentation ist entscheidend für den Nachweis gegenüber den Zollbehörden.
  • Transparente Lieferkettenplanung: Produktionsentscheidungen müssen frühzeitig mit den Zoll- und Ursprungsregeln abgeglichen werden, um Risiken durch nachträgliche Aberkennung des Ursprungs zu vermeiden.
  • Risiko der Zollumgehung vermeiden: Der Versuch, durch minimale Verarbeitung in Drittländern handelspolitische Maßnahmen zu umgehen, kann zur Nichtanerkennung des Ursprungs und zu rückwirkenden Zollforderungen führen.
  • Compliance und Governance: Zoll-Compliance-Systeme sollten klare Prüfschritte zur wirtschaftlichen Rechtfertigung enthalten, insbesondere bei neuen Fertigungs- oder Beschaffungsstrukturen.

Bedeutung für die Zollpraxis

Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit im Bereich der nichtpräferenziellen Ursprungsregeln, schärft jedoch zugleich die Anforderungen an Unternehmen. Sie verpflichtet zur ehrlichen und transparenten Darstellung wirtschaftlicher Entscheidungsprozesse gegenüber Zollbehörden.

Zudem unterstreicht das Urteil die Bedeutung einer professionellen zollrechtlichen Beratung. Nur durch fundierte Beurteilung der Fertigungsschritte und deren wirtschaftliche Hintergründe kann der Ursprung korrekt und rechtssicher festgestellt werden.


Fazit

Das Urteil zur zollrechtlichen Herkunft verdeutlicht, dass der Ursprung einer Ware nicht nur eine formale, sondern eine substanzielle ökonomische Komponente besitzt. Die EU verfolgt damit konsequent das Ziel, Umgehungsstrategien zu verhindern und faire Wettbewerbsbedingungen im internationalen Handel zu sichern.

Für Unternehmen ergibt sich daraus die Notwendigkeit, Produktionsentscheidungen eng mit zollrechtlicher Expertise zu begleiten und die wirtschaftliche Motivation jeder Veränderung im Herstellungsprozess detailliert zu belegen.
Eine rechtssichere Ursprungsbewertung schützt vor finanziellen Risiken, Nachforderungen und Reputationsschäden.


SW Zoll-Beratung unterstützt bei der fundierten Analyse der zollrechtlichen Herkunft, der Bewertung komplexer Fertigungsszenarien und der Erstellung belastbarer Ursprungsnachweise.
Mit tiefgreifender Fachkenntnis, starker Vernetzung und praxisorientierten Lösungen wird rechtliche Stabilität im internationalen Warenverkehr geschaffen.

Seit über 30 Jahren unterstützen wir Unternehmen mit maßgeschneiderten Dienstleistungen rund um das Thema Zoll und Außenwirtschaft. Ob Einfuhr, Ausfuhr, Präferenzkalkulation oder Compliance – unser erfahrene Zollexperten steht Ihnen mit fundiertem Know-how und praxisnahen Lösungen zur Seite.

Kontaktieren Sie uns – wir freuen uns auf Ihre Anfrage! Gerne über unser Kontaktformular oder direkt per Mail.

Ihre zuverlässige Zollagentur - SW Zoll-Beratung GmbH

Autor: Dominik Wiedmann - Senior Consultant Training & Beratung

Welle
Jobs 1
Schulungen 90